Dritte Ausgabe

Liebe Leser:innen,

wer ist eigentlich ein „richtiger“ Mann? Ist es der, der nie weint, der, der alles unter Kontrolle hat, oder vielleicht der, der den Mut hat, verlässlich zu sein? Zwischen alten Rollenbildern und neuen Erwartungen suchen viele Männer nach der Antwort auf
die Frage: Was macht „wahre“ Männlichkeit aus?

„Männlichkeit“ gilt oft als unsichtbar; als das, was nicht benannt werden muss, weil es als
selbstverständlich gilt. Doch genau darin liegt ihre Macht. Sie ist die Norm, an der alles
andere gemessen wird. „Männlichkeit“ prägt unsere Sprache, unsere Institutionen, unsere
Körperbilder und unser Denken. Sie sitzt überall, wo Menschen sind, denn sie lebt in uns
selbst fort.

Doch es gibt andere Männlichkeiten. Es ist Zeit, migrantische und geflüchtete
Männlichkeiten nicht länger nur als „anders“ zu betrachten, sondern als Spiegel und als
Möglichkeit, einen neuen Diskurs über Fragen des „Mann-Seins“ zu eröffnen. Diese Männer tragen in sich Geschichten von Verlust und Neuanfang, von Brüchen und
Verwandlung.

Wir sind überzeugt, dass die Bekämpfung des Patriarchats nur gelingt, wenn wir über
Männerbilder aus migrantischer, geflüchteter und marginalisierter Perspektive sprechen. Denn gerade sie zeigen, dass Stärke auch im Verlust liegen kann, Würde in der Verletzlichkeit und neue Männlichkeiten jenseits von Macht existieren dürfen. Unsere Autor:innen erzählen aus tief persönlichen Perspektiven, was Mann-Sein im
Alltag bedeutet, als Belastung, als Suche, als Erfahrung von Nähe und Distanz. Denn
Männlichkeit ist keine Abstraktion, sondern eine gelebte Realität: ein Raum, in dem viele
leiden, manche Macht genießen und alle geprägt sind.

Diese Ausgabe fragt, welche Bilder der Männer* existieren und wem sie nützen. Wer
profitiert davon, dass Stärke mit Härte, Vernunft mit Gefühlskälte und Autorität mit
Männern* gleichgesetzt wird? Wir sprechen über Verantwortung, Macht und darüber, was
passiert, wenn eine Gesellschaft ihre alten Götter endlich vom Thron absetzt.
In dieser ÇÎYA-Ausgabe machen wir Brüche, Widersprüche und Möglichkeiten der
Männer* im Wandel sichtbar. Sie soll dazu beitragen, an eine gerechte Gesellschaft
zu denken; eine, in der das Patriarchat keinen Platz mehr hat. Die Beiträge dieser
Ausgabe widmen sich dem Thema „Mann*“ im Zusammenhang mit Flucht, Rassismus,
Homosexualität, Erziehung, psychischer Gesundheit, Gewalt, Arbeit, Emotion und
Identität.

Wir wollen zeigen, dass es viele Arten gibt, Mann* zu sein und dass gerade in diesen
Unterschieden die Chance auf Freiheit liegt.

→  ÇÎYA-Zeitschrift, dritte Ausgabe 2025